„Wir wissen nicht mehr, wo wir noch sparen sollen“, zuckt Uwe Steuber mit den Schultern. Der Bürgermeister aus Lichtenfels (Landkreis Waldeck-Frankenberg) hat gerade sein Parade-Beispiel der Ausweglosigkeit gebracht, demnach seine Stadt für acht Dörfer sechs Kläranlagen unterhalten muss. Die Vorstandsmitglieder der Parteiunabhängigen Bürgermeister (PuB) sind mit ihren Bedenken, Bitten und Belegen bei der FDP-Landtagsfraktion auf offene Ohren gestoßen. „Wir müssen eine ehrliche Bedarfsberechnung vornehmen“, entgegnete Jörg-Uwe Hahn beim erneuten Gespräch der „freien“ Rathaus-Chefs mit den „Liberalen“.
Mit acht von zehn Vorstandsmitgliedern waren die „Parteilosen“ um Wetzlars Stadtrat Harald Semler in Wiesbaden so stark wie noch nie beim Erfahrungs-Austausch vertreten. Jörg-Uwe Hahn, seit 1987 FDP-Mitglied des Landtages, hat eine solche Debatte wie aktuell um die Kommunalfinanzen auch noch nicht erlebt und konnte den Praktikern aus der Provinz auf Augenhöhe begegnen. Die „Schein-Einigung“, wie er die kürzlich erzielte Übereinkunft von Regierung und Spitzenverbänden zur Reform des Kommunalen Finanzausgleich (KFA) nannte, werde auch bei den nun anstehenden Beratungen im Landtag nicht darüber hinwegtäuschen können, dass das Miteinander zwischen Land und Kommunen grundlegend neu geregelt werden müsse.
„Der KFA ist kommunales Geld“, bekräftigte Wolfgang Gottlieb, Bürgermeister in Birstein (Main-Kinzig-Kreis) die Sicht seiner Kollegen. „Wir reden hier nicht über Almosen, sondern über die Ausstattung für übertragene Aufgaben und die damit verbundenen Ausgaben“, sagte Götz Konrad, Rathaus-Chef in Eschenburg (Lahn-Dill-Kreis).
„Der so genannte Kompromiss ändert nichts an dem Hauptproblem: Die Steuerschraube dreht sich in den Kommunen weiter. In fünf Jahren wird auch die Kreis- und Schulumlage in noch unbekannte Höhen geschnellt sein“, prognostizierte Klaus Temmen aus Kronberg (Hochtaunuskreis). Dann gäbe es kaum noch Gewinner im neuen KFA.
„Und bei jeder Steuererhöhung vor Ort steigt der Frust unter den ehrenamtlichen Entscheidungsträgern“, beklagte Hartmut Linnekugel, Bürgermeister von Volkmarsen (Landkreis Waldeck-Frankenberg). „Das sieht man schon jetzt an der Wahlbeteiligung vielerorts“, befand Volker Carle. „Alle sagen: Selbstverwaltung kommt vor der Gängelung. Unter dem KFA tut sich aber die Schere zwischen Schuldenbremse und Schutzschirm auf“, sagte der Bürgermeister aus Cölbe (Landkreis Marburg-Biedenkopf).
Harald Semler, heute Stadtrat in Wetzlar, früher als Bürgermeister in Bischoffen (beides Lahn-Dill-Kreis) mit den Hemmnissen der Haushaltssicherung vertraut, unterstreicht das: „Das wichtigste Thema bleibt: Was für die Mindestausstattung angerechnet wurde, ist nachhaltig nicht ausreichend. So lange wir Kassenkredite aufnehmen müssen, um das laufende Geschäft aufrecht zu erhalten, stimmt das System nicht.“
Das „System“ heißt für die 426 Kommunen und 21 Kreise im Land derzeit Kommunaler Finanzausgleich (KFA), aber dahinter stecken Strukturen, die das System wiederum an seine Grenzen bringen. „Wie kommen wir wieder auf ein Niveau, das die Bürger auch bezahlen können?“, fragte Bernhard Ziegler aus Herbstein in die Runde und vor allem in Richtung Landespolitik. Schließlich seien es im Vogelsbergkreis wie anderswo immer die gleichen Bürger, die die Folgen von Bundes-, Landes- und Gemeindepolitik über ihre Steuern und Abgaben zu zahlen hätten.
Das ist Jörg-Uwe Hahn klar: „Wir müssen endlich an die Strukturen ran. Dafür muss jede Partei zunächst ermitteln, was sie eigentlich will“, so der FDP-Mann. Eine Reform sei hier ebenso „auf Sicht notwendig“.
„Wir haben tausende ‚Untere‘ und ,Obere‘ Behörden für alles und nichts. Richtig vorwärts geht’s aber auch nur, wenn zwischen Land und Kommunen direkt verhandelt wird über Ziele und Wege“, sprang Klaus Temmen ein. „Wenn wir jetzt nicht gemeinsam ein Konzept finden, bricht das Kartenhaus des KFA und noch viel mehr zusammen“, warnte der Fachmann aus Kronberg, dem die Kollegen aus dem ländlichen Raum beipflichteten.